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Lagereaktionen

Die Lagereaktionen in der Entwicklungskinesiologie

Die bei der neurologischen Untersuchung von Säuglingen altbekannten Lagereflexe sind provozierte Reflexhaltungen und -bewegungen auf eine bestimmte Änderung der Körperlage. Sie modifizieren sich je nach der erreichten Entwicklungsstufe, d. h., sie verlaufen in verschiedenen Phasen. Diese Phasen sind objektive Meilensteine der Entwicklung.

Da es sich um komplizierte Reaktionen handelt, ist es terminologisch besser, nicht von Lagereflexen, sondern von Lagereaktionen zu sprechen.

In der normalen Entwicklung korrespondieren die Phasen der Lagereaktionen mit der erreichten Entwicklungsstufe der phasischen Motorik und der lokomotorischen Ontogenese. Dies ist zu betonen, weil die Lagereaktionen bei der kinderneurologischen Untersuchung schnell ein aufschlussreiches Bild über den Entwicklungsstand des Kindes vermitteln.

Lagereaktion / Ideale Motorik

Beziehung der Muster der Lagereaktionen zur idealmotorischen Entwicklung des Kindes am Beispiel des Traktionsversuches

Es werden regelmäßig sieben Lagereaktionen verwendet, die schon in der Neugeborenenzeit verwertbar sind. Diese werden, ihrer Aussagefähigkeit nach geordnet, beschrieben.

Vojta-Reaktion

Auslösung: Anheben des Kindes aus der Bauchlage und rasches seitliches Kippen von der vertikalen in die horizontale Lage.

1. Phase: 1. - 10. Woche

Für die klinische Verwertbarkeit ist die Beurteilung der oberen Extremitäten wichtiger.

Vojta-Reaktion 1. Phase

Bei der Reaktion werden die obenliegenden Extremitäten beurteilt:

  • Moro-artige Umklammerungsbewegung beider Arme, Hände geöffnet.
  • Beugung des obenliegenden Beines im Hüft- und Kniegelenk, mit Dorsalflexion im oberen Sprunggelenk.
  • Pronation des Fußes und fächerförmige Zehenspreizung.
  • Streckung des untenliegenden Beines mit Dorsalflexion im oberen Sprunggelenk, Supination und Beugung der Zehen.

1. Übergangsphase: 11. - 20. Woche

Vojta-Reaktion 1. Übergangsphase

Die Moro-artige Umklammerungsbewegung lässt nach, die Arme werden noch abduziert, die Hände sind offen.
Gegen Ende der 1. Übergangsphase:

  • Arme locker gebeugt (nur bei Wiederholung oder Aufregung erscheint noch die Moro-artige Abstreckung der Arme).
  • Beine nehmen nach und nach eine Beugehaltung ein.
  • Zehen des obenliegenden Fußes nicht mehr gespreizt.

2. Phase von etwa 4,75 Monaten bis Ende des 7. Monats

Vojta-Reaktion 2. Phase

Alle Extremitäten nehmen eine lockere Beugehaltung ein.

  • Hände offen oder locker geschlossen.
  • Füße dorsalflektiert, meist supiniert.
  • Zehen in Mittelstellung oder gebeugt.

2. Übergangsphase nach dem 7. Monat bis Ende des 9. Monats

Vojta-Reaktion 2. Übergangsphase

Arme locker gebeugt, später lockere Vor- und Abstreckung.

  • Beine deutlich vorgestreckt, Beugung im Kniegelenk lässt nach.
  • Füße dorsalflektiert.
  • Zehen in Mittelstellung.

3. Phase nach dem 9. Monat bis zum 13./14. Monat

Vojta-Reaktion 3. Phase

  • Obenliegende Extremitäten abgestreckt.
  • Füße dorsalflektiert.
  • Nach Erreichen der Stehfähigkeit ist die Vojta-Reaktion bei einem gesunden Kind kaum mehr verwertbar. Das Kind kann seine Körperhaltung trotz des massiven afferenten Zuflusses willkürlich modifizieren.

Hinweis

Vor der Ausführung des Manövers muss man dem Kind unbedingt die Hände öffnen. Besonders in der perinatalen Periode und auch im frühen Säuglingsalter kommt es sonst zu einer stereotypen Beugehaltung des Armes, die fälschlicherweise als abnorm bewertet würde.

Traktionsversuch

Diese Probe hat man seit Jahrzehnten in der Diagnostik angewandt um, bei dem aus der Rückenlage in die vertikale Sitzlage hochgezogenen Kind, die Kopfhaltung zu beurteilen. Wird jedoch das Kind in eine schräge Lage gezogen (ca. 45 Grad über die Horizontale), ist es möglich, in dieser labilen Lage die Reaktion des ganzen Körpers und der Extremitäten zu beobachten.

Es muss darauf geachtet werden, den Greifreflex der Hände auszunutzen. Dazu wird ein Finger von der ulnaren Seite her in die Hand des Kindes gelegt. Mit den anderen Fingern fasst man den distalen Unterarm des Kindes und berührt nicht den Handrücken. Dieser exterozeptive Reiz würde den Greifreflex bremsen.

Ausgangslage: Rückenlage, Kopf in Mittelstellung.
Auslösung: Das Kind wird bis zu 45 Grad langsam hochgezogen.

1. Phase von der 1. bis Ende der 6. Woche

traktionsversuch-1a-p

  • Kopf hängt nach hinten.
  • In der perinatalen Periode sind die Beine gebeugt und leicht abduziert.
  • Nach der perinatalen Periode: inerte Beugehaltung der Beine (ähnlich wie beim Axillarhängeversuch oder bei der Landau-Reaktion im 1.Trimenon).

2. Phase von der 7. Woche bis Ende des 6. Monats

Traktionsversuch 2. Phase

  • Beugung des Kopfes mit Beugebewegung des ganzen Rumpfes.
  • Flexion der Beine.

  2a-Phase (vollendeter 3. Lebensmonat):

  • Kopf-Rumpf ist in einer Linie.
  • Beine mittelgradig gebeugt.

  2b-Phase (vollendeter 6. Monat):

  • Kopf maximal anteflektiert.
  • Beine maximal an den Rumpf herangezogen.

3. Phase im 8. und 9. Monat

Traktionsversuch 3. Phase

Nach dem 7. Monat lässt die Beugebewegung des Kopfes, des Rumpfes und auch der Beine allmählich nach. Von da an erfolgt während des Manövers ein aktiver Impuls des Säuglings i.S. des „Hochziehens“. An den Beinen kann man das Nachlassen der Beugebewegung am besten an den Kniegelenken beobachten. (Halbstreckung im Knie). Das Gesäß wird zum Stützpunkt. der Schwerpunkt wird – aktiv – in Richtung Gesäß verlagert.

4. Phase vom 9./10. Monat bis zum 14. Monat

Traktionsversuch 4. Phase

  • Kind zieht sich hoch.
  • Kopf bleibt in der Linie des Oberkörpers.
  • Beugebewegung vollzieht sich im Wesentlichen in der lumbosacralen Übergangsregion.
  • Beine sind abduziert und in den Kniegelenken locker gestreckt.

Bemerkung:

Zur Beurteilung der 3. und 4. Phase sollte das Kind in einer ausgeglichenen Stimmung sein, da es beim Schreien häufig den Rumpf opisthoton überstreckt.

Kopfabhangversuch nach Peiper (Peiper-Isbert 1927)

Ausgangslage: In den ersten 4–5 Monaten Rücken-, danach Bauchlage. Kopf in Mittelstellung, Hände sollen geöffnet werden.
Auslösung: Beim Neugeborenen und jungen Säugling umfasst man den Oberschenkel weit proximal, beim älteren Säugling und Kleinkind den distalen Oberschenkel oder die Kniegelenke. Dann bringt man das Kind plötzlich mit dem Kopf nach unten in die Vertikale.

1. Phase von 1. Woche bis Ende des 3. Monats

Peiper-Isbert 1. Phase
In den ersten 6 Entwicklungswochen:

  • Moroartige Umklammerung der Arme (1a-Phase).

Danach (1b-Phase):

  • Unvollständige Moro-Reaktion der Arme (ohne „Umklammerung“).
  • Nacken gestreckt, Becken gebeugt.

2. Phase vom 4. bis zum 5. / 6. Monat

Peiper-Isbert 2. Phase

Arme seitwärts halbhoch gestreckt.

  • Hände geöffnet.
  • Nacken und Rumpf bis zum thorakolumbalen Übergang gestreckt.
  • Beugehaltung des Beckens lässt nach.

3. Phase vom 7. bis 9./10./12. Monat

Peiper-Isbert 3. Phase

  • Hochstreckung der Arme.
  • Hände geöffnet.
  • Symmetrische Nacken- und Rumpfstreckung bis zum lumbosacralen Übergang.

4. Phase ab ca. 9. Monat

Peiper-Isbert 4. Phase

Das Kind versucht, sich aktiv an dem Untersuchenden festzuhalten und hochzuziehen.

Im 1. Trimenon steht der Oberarm senkrecht zur Körperachse. Dieser Winkel vergrößert sich im 2. Trimenon allmählich von 90 Grad auf 135 Grad. Er erreicht am Ende des 3. Trimenons etwa 160 Grad.

Allgemeine Bemerkungen zur Auslösung der Peiper-Isbert-Reaktion

  • Die Bewertung der Reaktion erfolgt im Augenblick des Hochhebens.
  • Vor jeder Untersuchung müssen die Hände offen sein, besonders beim Neugeborenen und jungen Säugling.
  • Kinder unterhalb von 5 Monaten muss man unbedingt aus der Rückenlage heraus untersuchen um der noch bestehenden Beckenbeugehaltung gerecht zu werden.
  • Ein Kind oberhalb von 6 Monaten ist günstiger aus der Bauchlage heraus zu untersuchen, da es weniger Möglichkeiten hat, sich am Untersuchenden festzuhalten.

Kopfabhangversuch nach Collis (Collis 1954)
(Collis vertikal, modifiziert von Vojta)

Ausgangslage: Rückenlage.
Auslösung: Man hält das Kind an einem Knie (beim jungen Säugling hüftgelenksnah am Oberschenkel) und bringt es plötzlich, mit dem Kopf nach unten, in die Vertikale.

1. Phase von 1. Woche bis Ende des 6. / 7. Monats

Collis vertikal 1. Phase

Das freigelassene Bein nimmt eine Beugehaltung
im Hüft-, Knie- und Sprunggelenk ein.

2. Phase ab dem 7. Monat

Collis vertikal 2. Phase

Das freigelassene Bein nimmt eine lockere Streckhaltung
im Kniegelenk ein, das Hüftgelenk bleibt gebeugt.

Horizontalabhangversuch nach Collis (1954)
(Collis horizontal, modifiziert nach Vojta)

Ausführung: Das Kind wird am Oberarm und am gleichseitigen Oberschenkel proximal gelenknah gehalten. Zur Vermeidung einer Überdehnung der Gelenkkapsel des Schultergelenkes warte man auf das „Zupacken“ des Kindes, d.h., wenn es versucht, den gehaltenen Arm zum Körper heranzuziehen.

1. Phase von 1. Woche bis 12. Woche

Collis horizontal 1. Phase
In den ersten 6 Wochen Moro-artige Bewegung des freigelassenen Armes.

Collis horizontal 1. Phase
In der 7. bis 9. Woche Moro-artige Abstreckung des Armes.

Collis horizontal 1. Phase
In der 10. bis 12. Woche lockere Beugehaltung des freigelassenen Armes.

Bemerkung: Lockere Strampelbewegungen des freigelassenen Beines sind in dieser Zeit normal.

2. Phase vom 4. bis zum 6. Monat

Collis horizontal 2. Phase

  • Freigelassenen Unterarm in die Pronation.
  • Am Ende der 2. Phase: Übernahme von Belastung auf die stützende Hand.
  • Bein bleibt in Beugehaltung.

Bemerkung:
Die 2. Phase – Pronationsbewegung des freigelassenen Unterarmes – beginnt erst dann, wenn das Kind fähig ist, sich bei symmetrischer Nackenstreckung in Bauchlage sicher auf die Ellenbogen zu stützen. Die Pronationshaltung des Unterarmes ist immer mit der dorsalen Beugung im Handgelenk und Lockerung der Fausthaltung verbunden. Der vollendete Handstütz (ohne steife Streckung im Ellenbogen) fällt in dieselbe Zeit, in der der Greifreflex der Hand erlischt und das Kind fähig ist, phasisch radial zu greifen.

3. Phase vom 8. bis zum 10. Monat

Collis horizontal 3. Phase


Collis horizontal 3. Phase

  • Abduktion des freigelassenen Beines im Hüftgelenk.
  • Abstützen auf dem Außenrand des Fußes (8. Monat, Abb. oberes Buld).
  • Abstützen mit der gesamten Fußsohle (Beginn des 4. Trimenon, Abb. unteres Bild).

Bemerkung:
Die 3. Phase erscheint gleichzeitig mit der „standing reaction“. Sie zeigt die Entwicklungsphase der klinisch vorhandenen Vertikalisierung an. Das Kind kann sich jetzt alleine hinsetzen und versucht, sich hochzuziehen.

Landau-Reaktion (Landau, A.; 1923)

Ausführung: Das Kind wird unter dem Bauch auf der flachen Hand streng in der horizontalen Lage gehalten.

1. Phase von 1. Woche bis 6. Woche

Landau-Reaktion 1. Phase

  • Kopf leicht gesenkt.
  • Rumpf leicht gebeugt.
  • Arme und Beine locker gebeugt.

2. Phase vom 7. Woche bis zum 3. Monat

Landau-Reaktion 2. Phase

  • Symmetrische Nackenstreckung bis zur Schulterlinie.
  • Leichte Beugehaltung des Rumpfes.
  • Lockere Beugehaltung der Arme und Beine.

3. Phase mit 6 Monaten erreicht

Landau-Reaktion 3. Phase

  • Weitere symmetrische Streckung des Rumpfes bis zum thorakolumbalen Übergang.
  • Beine in leichter Abduktion locker gebeugt (Hüft- und Kniegelenk ca. 90°).
  • Arme locker gehalten.
  • Nachlassen der Beinbeugung jenseits des 7. Monats.

4. Phase mit 8 Monaten erreicht

Landau-Reaktion 4. Phase

  • Beine locker gestreckt.
  • Arme locker gebeugt.

Hinweis:
Bei der Durchführung und Verwertung dieser Lagereaktion muss man wieder streng darauf achten, dass das Kind ruhig ist. Die beim Schreien erscheinende Streckhaltung der Beine oder eine opisthotonusähnliche Haltung des Rumpfes hat keinen Aussagewert. Mit der vollendeten 2. Phase ist das Kind fähig, den symmetrischen Ellenbogenstütz und die symmetrische Nackenstreckung in der Bauchlage einzunehmen. Dabei muss jede Asymmetrie in der Rumpfhaltung beachtet werden. Die vollendete 3.Phase bedeutet auch die geradlinige Haltung der Wirbelsäule. In dieser Zeit muss das Kind schon phasisch radial greifen und sich in der Bauchlage auf einen Ellenbogen stützen und mit der freien Hand nach vorne greifen können.

Axillarhängeversuch

Ausführung: Vertikale Haltung. Das Kind wird am Rumpf gehalten, mit dem Kopf nach oben und dem Rücken zum Untersuchenden. Es ist darauf zu achten, dass das Kind

  • nicht in seinem Schultergürtel hängt,
  • dass der Untersuchende mit seinen Daumen nicht den unteren Trapeziusrand des Kindes berührt, da durch diesen propriozeptiven Reiz eine Streckhaltung der Beine ausgelöst wird.

1. Phase

Axillarhängeversuch 1. Phase

Beine in inerter Beugehaltung (ähnlich wie bei Landau 1. Phase und beim Traktionsversuch jenseits der perinatalen Periode).

2. Phase

Axillarhängeversuch 2. Phase

Beine zum Körper herangezogen – Beugesynergie der Beine (Haltung ähnlich wie bei der Landau-Reaktion oder beim Traktionsversuch in der 2. Phase).

3. Phase

Axillarhängeversuch 3. Phase

  • Beine in lockerer Streckhaltung.
  • Füße dorsalflektiert.

Hinweis :
Das Heranziehen der Beine zum Bauch in der 2. Phase entspricht der Entwicklungsphase der Spontanmotorik, wenn das Kind in Rückenlage die Beine an den Bauch heranzieht und beginnt mit den Füßen ineinanderzugreifen. Die 3. Phase erscheint in der Zeit der Vorbereitung der Stehreaktion.

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